Aktualisiert am 4. Mai


Der Bundeskanzler Olaf Scholz wird vermutlich dereinst als der große Zauderer und Meister einer fadenscheinigen Argumentation in die Geschichtsanalen eingehen. Mit seiner Weigerung, der Ukraine Taurus-Marschflugkörper zur Verfügung zu stellen, wird ein Sieg der Ukraine immer unwahrscheinlicher und der zermürbende und verlustreiche Stellungskrieg unnötig verlängert. Zudem bröckelt zunehmend die bisher einigermaßen geschlossene Front der internationalen Unterstützer, was dem Aggressor weiter in die Hände spielt.

Auch diejenigen in der Regierungskoalition, welche seinerzeit vehement eine Lieferung forderten, um sich dann aber sang- und klanglos dem Kanzler und der Koalitionsräson zu beugen, werden ebenfalls als rückgratlose Versager dastehen, wenn russische Truppen dereinst in Deutschland einfallen. Man vergesse nicht: Putin hat hoch gepokert und sein eigenes Volk gründlich belogen, das einen hohen Blutzoll dafür zahlt und irgendwann Rechenschaft darüber fordern wird. Seine politische Zukunft ist also unabänderlich an einen militärischen Sieg geknüpft. Für ihn gibt es keinerlei Alternative.

Angesichts der zunehmenden heftigen Raketen- und Drohnenattacken auf die Energieinfrastruktur und sonstige zivile Ziele in der Ukraine fordert Präsident Selenskij die Lieferung von mehr Patriot-Abwehrsystemen. Auf mehr dieser Systeme dürfte Russland mit mehr Raketen reagieren, eine Entwicklung, die sich immer weiter hochschaukelt, ohne dass dabei ein Ende oder ein Sieg abzusehen wäre. Und die Kosten? 

Zugleich mobilisiert Russland immer mehr Waffen und Soldaten in Vorbereitung einer Frühjahrsoffensive, derer sich zu erwehren es der Ukraine an Soldaten und Waffen fehlt. Somit wird überaus deutlich, dass 2023 die letzte Chance vertan wurde, die Ukraine so mit Waffen auszustatten, und dazu gehören auch die Taurus-Marschflugkörper, dass diese eine siegreiche Offensive hätte starten können. 

Putin wird es den Zauderern sehr danken, zu denen ja auch, wider alle mahnenden Stimmen, der deutsche Zeitenwende-Bundeskanzler gehört. Das Jahr 2024 ist ein Superwahljahr. Warten wir es ab, was da alles noch Putin in die Hände spielen wird! In der Slowakei hat es ja bereits begonnen! Eine Tragödie ohne Ende!

Wie abgestumpft gegen alle verzweifelten Appelle und Warnungen und auch gegen das nicht endende unermeßliche Leid der Menschen in der Ukraine müssen Politiker sein, wenn sie das alles buchstäblich aussitzen und, anstatt wirkungsvolle Waffen zu liefern, sich große Gedanken zum Wiederaufbau der Ukraine machen. Eine faule Alibiveranstaltung, sinnloser Aktionismus, wenn es die Ukraine vielleicht als freien Staat bald nicht mehr geben wird. 

Herr Scholz, Sie geben mit Ihrem Zögern nicht nur die Ukraine preis, sondern setzen damit auch die Freiheit Europas leichtfertig aufs Spiel.

Es ist ja dieses naive, immer aber nur selbstbezogene deutsche Gutmenschentum, das um des eigenen Seelenfriedens und Wohlbefindens willen eine ernsthafte Auseinandersetzung scheut. Eine Politik, welche sehr an „Biedermann und die Brandstifter“ (Max Frisch) erinnert. Diese hat ja, über Jahrzehnte gegenüber Putin und Russland praktiziert, erst zu der heutigen fatalen Situation geführt.

Und zu diesen damaligen Biedermännern gehört auch der jetzige Bundespräsident Steinmeyer, der mit seinem Spott über „Kaliberexperten“ für mich lediglich beweist, dass er die „Zeitenwende“ leider immer noch nicht begriffen hat, während die Adressaten seines Spottes sich durch eine größere Ernsthaftigkeit in der Einschätzung der dramatischen Situation auszeichnen.

Beim deutschen Einsatz in Afghanistan wurde mit der Formel „Deutschland wird am Hindukusch verteidigt“ eine äußerst fragwürdige Rechtfertigung sogar für den Einsatz von Soldaten vorgenommen. Aber das lag ja alles in weiter Ferne und war, abgesehen von den Soldaten, die bei dem Einsatz starben oder zu Schaden kamen, nicht weiter beunruhigend. Jetzt aber müsste mit wirklicher Berechtigung die Formel „Deutschland wird in der Ukraine verteidigt“ zur entschiedenen Anwendung kommen, nicht mit deutschen Soldaten, aber mit wirkungsvolleren Waffen.

Wenn Kanzler Scholz auf einer Veranstaltung kürzlich sinngemäß sagte, der Krieg könne durchaus noch fünf Jahre dauern, so frage ich mich ganz ernsthaft, wieviel Empathie und vor allem wieviel entschlossenen Handlungswillen dieser Politiker in Sachen Ukraine eigentlich noch hat? Fünf Jahre in ständig zurückweichender Defensive! Das bedeutet ein zusammengeschossenes und ausgeblutetes Land, vielleicht teilweise oder ganz als Putins Beute. Zynischer kann man eigentlich gar nicht reden! Aber es ist eben das wohlfeile Mäntelchen einer sogenannten Realpolitik, welche mit dem Anschein eines sorgfältigen Abwägens Zögerlichkeiten geschickt zu verdecken sucht. Und vor allem: Das potentielle Wahlpublikum applaudiert dazu, weil es in seiner trügerischen Seelenruhe nicht gestört werden will!

Und gerade diese Klientel, die offensichtlich zahlreich ist, wird sehr umworben, und zum erfolgreichen Fang dieser benötigt man aber einen geeigneten Köder, und der heißt hier: sofortige Friedensverhandlungen, besonders auch gefordert von einer Politikerin, die bevorzugt in einem roten Kostüm auftritt. Nach der realen Lage der Dinge könnten dies nur Verhandlungen unter Bedingungen sein, die Putin diktiert. Aber das und die daraus resultierenden weiteren Konsequenzen für die Ukraine und auch für uns und ganz Europa werden natürlich nicht benannt. Das ist Populismus in Reinkultur, wie er abstoßender gar nicht sein kann!

Und die Autokraten von der AfD, welche sich u.a. der gleichen Klientel bedienen, träumen wohl von einer Herrschaft, geborgen unter Putins Fittichen, nach dem Vorbild des belarussischen Diktators Lukaschenko.

Bundeskanzler Scholz lehnt weiterhin Taurus-Lieferungen an die Ukraine ab, da die Gefahr bestehe, so argumentiert er, dass Deutschland dadurch Kriegspartei werden könne. Welch ein fundamentaler Irrtum! In der Einschätzung Putins ist Deutschland mit Sicherheit bereits Kriegspartei. Auch wenn das noch keine direkten Auswirkungen zeigt. Putin denkt strategisch in Etappen. Die erste ist für ihn die Ukraine. Ist diese eingenommen, so folgt dann die nächste. Die Zeit arbeitet für ihn, besonders da die politischen Entwicklungen im Westen ihm möglicherweise in die Hände spielen werden. Man denke an die kommenden Wahlen und an Donald Trump, sowie an die unsicheren Kantonisten in der Slowakei und in Ungarn. Vor diesem Hintergrund möge man bedenken, dass die Feststellung des Bündnisfalles in der NATO einstimmig erfolgen muss, also ohne Gegenstimmen. Vor diesem Hintergrund der Ungewissheiten wird kostbare Zeit und ein noch vorhandener strategischer Vorteil leichtfertig verspielt, wenn man es den Russen durch Zögerlichkeit ermöglicht, immer weiter in der Ukraine vorzurücken bei gleichzeitiger Zerstörung von deren Infrastruktur.

Der immer wiederholte Hinweis auf bereits erfolgte Waffenlieferungen im großen Umfange ist zwar richtig. Aber ein i ohne Tüpfelchen ist eben kein i, soll heißen, dass es nicht nur auf die Menge sondern auch auf die größtmögliche Effektivität ankommt. Und da fehlt einfach Taurus!

Aus der Sicht von SPD-Chef Lars Klingbeil müsse man vielleicht noch zehn Jahre Geld und Waffen mobilisieren, um der Ukraine zu helfen. Besser kann man die Zögerlichkeit gar nicht dokumentieren. Besitzt der Mann denn gar keine Vorstellungskraft um einzuschätzen, was zehn Jahre angesichts der täglich sich wiederholenden Tragödien für die Ukraine bedeuten würde?! Nein, die Ukraine muss jetzt in die Lage versetzt werden, die russischen Angriffe erfolgreich abzuwehren und vielleicht sogar wieder offensiv zu werden. Hierzu bedarf es effektiverer Waffen und mehr Entschlossenheit und Mut bei den deutschen Entscheidungsträgern! Jeder Tag des Zögern bringt Putin dem Sieg näher.

„Russlands langsamer Vormarsch: Sorgen in der Ukraine“ war der Titel eines sehr beunruhigenden Hörbeitrags im Radio. Russland macht Druck um jeden Preis, selbst wenn dieser, als „Fleischwolf“ treffend charakterisiert, nach ukrainischen Angaben eintausend tote russische Soldaten am Tag bedeutet. Ein Menschenleben bedeutet in Russland eben nichts! Je höher der Preis an Menschenleben ist, den Putin ganz rücksichtslos bezahlt, desto mehr ist er zum Erfolg als Sieg verdammt. Leider wird dies alles von unseren Politikern relativiert, und sie überbieten sich mit guten Nachrichten über militärische Hilfslieferungen, welche eben nicht der Ukraine entscheidende strategische Vorteile bringen, z. B. in der Unterbrechung des russischen Nachschubs.

Herr Bundeskanzler Scholz, ich fordere Sie auf, verlassen Sie Ihren Wahlkampfmodus und nehmen Sie doch bitte zu dieser dramatischen Entwicklung Stellung, und zwar in einer Regierungserklärung vor dem Deutschen Bundestag!

Kanzler Scholz blickt ganz entspannt von einem großflächigen Wahlplakat auf das Wahlvolk: „Besonnen handeln - SPD wählen“. Ein wahrer Slogan für den Wohlfühlmodus! Niemand braucht sich zu beunruhigen. Alles geht so weiter wie bisher; denn der Kanzler handelt ja besonnen. Was soll uns da passieren. Ja, nur keine Unruhe verbreiten! Denk- und merkwürdig, da ja z. B. seine Generäle in Interviews stets ein realistischeres Bild davon verbreiten, was der russische Moloch mit Hilfe Chinas und Nordkoreas im Begriff ist zu entwickeln. So erschließt es sich bereits dem kleinen Einmaleins der Logik, welchen Zielen das gigantische Rüstungspotential dienen soll.

Und für Putin selbst kann es gar nicht besser laufen: Die von der Staatsmacht gedemütigte Bevölkerung erlebt den Krieg als Identität stiftend im Sinne eines Wir-Gefühls. Trauer und Verlust werden mit patriotischem Helden- und Pflichtgefühl kompensiert. Die Wirtschaft floriert trotz aller Sanktionen, und die Front ist fern. Man fügt sich.

Aber ganz besonnen schwebt der Bundeskanzler über all diesen Entwicklungen und wiederholt gebetsmühlenhaft das Mantra, dass Deutschland nicht Kriegspartei werden dürfe. Wir sind bereits Partei und vor allem auch Ziel, wenn auch erst in der dritten oder vierten Etappe, aber dann vernichtend!

Anmerkung zum vorliegenden Text: Dieser ist jeweils anlassbezogen während einer längeren Zeit nacheinander in Teilen entstanden.

Ich habe diesen Text in einer etwas kürzeren Fassung meinem Bundestagsabgeordneten Jakob Blankenburg (SPD) zukommen lassen.

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